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Nachlese vom 08. Januar 2020

Nachlese Erzählcafé vom 08. Januar 2020

"Der Verein NS-Familien-Geschichte" - Von persönlicher Spurensuche zum politischen Einmischen

Mit: Roland Laich und Katrin Raabe
Moderation: Laura Marahrens

Das erste Erzählcafé des neuen Jahres wird im Gemeindehaus St. Paulus veranstaltet. Als die Veranstaltung beginnt, sitzen etwa 25 interessierte Besucher den Erzählern des Abends, Katrin Raabe und Roland Laich, gegenüber. Beide haben den Verein „NS-Familien-Geschichte" gegründet. Am heutigen Nachmittag soll es um die Spurensuche in der Familiengeschichte von Katrin und Roland gehen, um ihre Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit ihrer Verwandten und ihren Weg selbst aktiv zu werden.


Den Impuls zu recherchieren und sich mit der Geschichte bestimmter Familienmitglieder auseinanderzusetzen, hatten beide unabhängig voneinander.
Katrin erzählt, sie hätte sich schon immer sehr für die NS-Zeit interessiert, sei in ihrer Familie bei der Konfrontation mit dem Thema aber immer wieder auf Verschwiegenheit gestoßen. Erst 2012 erfährt sie, dass der Bruder ihrer Großmutter, die ihr sehr nahe stand, bei der Gestapo war. Für Katrin ein Schock. Doch anstatt sich wie ihre Familie in abwehrendes Schweigen zu hüllen, fängt sie an zu recherchieren. Sie scheut keine Bemühungen und fährt auf den Spuren ihres Großonkels nach Frankreich. Sie erhält Zugang zu Dokumenten aus dem Bundesarchiv und luxemburgischen Nationalarchiv. Stück für Stück bringt Katrin die Lebensgeschichte ihres Großonkels ans Licht und die ist alles andere als die Geschichte eines Mitläufers. Katrin stößt auf Akten, die belegen, dass ihr Großonkel für die Verfolgung des luxemburgischen Widerstands zuständig war und Erschießungen und Folterungen organisierte.
Die Besucher des Erzählcafés zeigen sich an dieser Stelle beeindruckt von Katrins Durchhaltekraft, ihrer Motivation und ihrer Recherchefähigkeit. Immer wieder werden Fragen nach der Reaktion ihrer Familie auf die Entdeckungen laut. „Das war und ist ein schwieriges Thema, besonders für die engsten Verwandten", berichtet Katrin.


Roland beginnt mit seiner Erzählung in seiner Kindheit, die von einem jähzornigen Vater geprägt war. Er habe sich schon damals irgendwie am falschen Platz gefühlt und konnte mit den abfälligen Bemerkungen seines Vaters über „den Juden" nichts anfangen. Mit 12 Jahren schon distanziert sich Roland endgültig und schließt sich später der antifaschistischen Bewegung an. Erst nach dem Tod seines Vaters 2006 stößt er bei dem Durchgehen alter Briefe auf Anzeichen, die belegen, dass der ältere Halb-Bruder seines Vaters bei der Wehrmacht war. Seine Recherchen offenbarten seinen Halb-Onkel als einen fanatischen Unteroffizier. Er war ein großes Vorbild für Rolands Vater. „Da war mir klar, wer mein Vater war und dass meine ganzen Empfindungen richtig waren. Das hat mir den Boden unter meinen Füßen wiedergegeben", erzählt Roland. Stimmen aus dem Publikum äußern ihre Bewunderung für Rolands Erhebung aus seiner Familie. Durch Nachfragen der Besucher steht bald die Frage nach dem richtigen Umgang mit der Schuld der eigenen Verwandten im Raum.


Katrin und Roland haben beide Menschen besucht, die Opferfamilien ihrer eigenen Verwandten waren. Doch entgegen ihrer Angst wurde sie von den Angehörigen mit berührender Herzlichkeit aufgenommen. Es sei eine Art Aussöhnung gewesen. „Das ist wichtig für beide Seiten!", fügt Roland mit Nachdruck hinzu. Die Gäste des Erzählcafés zeigen durch verschiedene Bemerkungen und Nachfragen an dieser Stelle, dass sie sehr bewegt, teilweise sogar überrascht sind von der Offenheit der Opferfamilien. Am Ende der Veranstaltung sieht man den Gästen an, dass jeder den Satz von Katrin: „Wir sind nicht verantwortlich. Wenn wir etwas tun können, dann ist es, aufeinander zu zu gehen" nach Hause nehmen wird.

Inzwischen haben Katrin und Roland eine eigene Website ihres 2014 gegründeten Vereins (www.ns-familien-geschichte.de), halten Vorträge zu Themen wie „Recherchearbeit in der eigenen Familie" und geben an Schulen einen Einblick in ihre eigene Forschungsgeschichte.

Die Veranstaltung wurde unterstützt vom "Bündnis 27. Januar - Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus"


- Alisa Behrens -

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Seite aktualisiert am 12.08.2016