Nachlese vom 03. April 2019
Bei strahlendem Sonnenschein treffen sich ungefähr fünfunddreißig Besucher in der Freien Altenarbeit Göttingen e.V. zum Erzählcafé mit Liaquat Ali und Annabel Konermann. Beide wurden eingeladen, um über die Situation der Flüchtlinge in Göttingen seit dem Jahr 2015 zu berichten. Herr Ali aus der Perspektive des in Deutschland ankommenden Flüchtlings und Frau Konermann mit dem Hintergrundwissen einer Ehrenamtskoordinatorin der Bonveno gGmbH.
Die Moderatorin Laura Marahrens hatte im Vorfeld Fotografien von Belutschistan zusammengestellt, anhand derer Herr Ali über seinen Geburtsort und die politische Situation berichtet. Er beschreibt sehr eindringlich die Eigenständigkeit der Belutschen vor dem Einmarsch der pakistanischen Armee. Sein politisches Engagement für die Freiheit Belutschistans brachte ihn zuerst nach Dubai, wo er im Sicherheitsdienst am Flughafen arbeitete. Auf Grund weiterer politischer Proteste wurde ihm mit der Ausweisung gedroht, der er durch ein deutsches Visum für sich und seinen Sohn zuvorkommen konnte. Seine Frau und drei weitere Kinder blieben in Belutschistan - er hat sie seit drei Jahren nicht gesehen.
Seitdem Herr Ali im Herbst 2015 in Hamburg gelandet ist, hat er sich um Deutschkurse für sich und seinen Sohn, ein Dach über dem Kopf und einen Arbeitsplatz bemüht. Frau Konermann, die er als „Engel" bezeichnet, unterstützt ihn, seitdem er nach einem 28 tägigen Aufenthalt in Friedland ein Zimmer in der Flüchtlingsunterkunft IWF in Göttingen bezogen hat. Erst einmal betont sie, dass „Engel" der ganz normale Arbeitstitel für den Helfer ist. „Wir werden alle als Engel bezeichnet." Dann beschreibt sie Liquat als ungewöhnlich in seiner Selbstständigkeit und Motivation. „Liaquat hat immer für sich selbst gesorgt, er hat sich um Praktika in der Altenpflege, in der Logistik, um eine Qualifizierung und Anstellung im Sicherheitsdienst bemüht und diese auch bekommen. Viele Geflüchtete wurden in der Not von ihrer Familie geschickt. In ihrer oft patriarchal, autoritären Herkunfts-Kultur haben sie selten gelernt, selbst zu entscheiden und Zukunft zu planen." Seit 2018 bewacht er für den Sicherheitsdienst IHK unter anderem ein Flüchtlingsheim in Göttingen. „Dort passiert nichts", erzählt er belustigt. „Die Bewohner vertragen sich gut. Es gibt keine Polizei. Es ist fast langweilig."
Auffällig ist die Dankbarkeit von Herrn Ali gegenüber Deutschland, gegenüber vielen Menschen und den Zuhörern des Erzählcafés. Schnell wird deutlich, dass dieses auf Gegenseitigkeit beruht: seine guten Sprachkenntnisse werden gelobt und man nimmt Anteil an seiner Angst, nicht bleiben zu dürfen, was im Ernstfall bedeuten würde, zurück nach Pakistan geschickt zu werden. „Dort bringt man mich um", sagt Herr Ali. Die Zuhörer sind erschüttert und zugleich wird deutlich, wie gut es ihnen geht in diesem sicheren Deutschland. „Wir wachsen in einem Grundvertrauen auf.", sagt Frau Konermann, „Viele Geflüchtete kennen nur Misstrauen, denn sie konnten in ihrem Land kaum jemandem vertrauen, dem System nicht, den Nachbarn nicht, manchmal nicht mal der eigenen Familie. Auch hier haben viele Angst vor ihrem Geheimdienst."
Das Erzählcafé endet mit dem Versprechen, die Daumen zu drücken für Herrn Ali und Applaus für das großartige Engagement von Frau Konermann, die stellvertretend steht für viele Göttinger Bürger*innen.
- Laura Marahrens -