Gut versorgt zu Hause: Wohnen, wo ich hingehöre, nicht allein und nicht im Heim. Wir wollen mit mobiler sozialer Wohnberatung in Verbindung mit Dorf- und Nachbarschaftsprojekten ein selbstbestimmtes Leben in vertrautem Umfeld und in guter Nachbarschaft bis ins hohe Alter ermöglichen. Mit einem ganzheitlichen Ansatz, der Wohnen, „dritten Sozialraum“ und Generationendialog verbindet. Im Mittelpunkt steht dabei das Engagement der Generationen, die Leben und Zukunft ihrer Region aktiv gestalten.
Die Region Südniedersachsen gehört zu den strukturschwächeren Gebieten Deutschlands und ist besonders von den Auswirkungen des demographischen Wandels betroffen. Doch es wird nicht nur mehr ältere Menschen geben – verbunden mit einem rapiden Anstieg des Anteils der Hochaltrigen, für die angemessener Wohn- und Lebensraum von ganz besonderer Bedeutung ist –, auch die intergenerationalen Netze werden angesichts veränderter Familienstrukturen weniger belastbar sein als in der Vergangenheit. Die negativen Folgen dieser Entwicklung sind in der Region überall sichtbar: Wegzug, Leerstand, ausgedünnte Infrastruktur, Vereinsamung im Alter.
Gerade Gemeinden mit kleinen Ortschaften sind hiervon besonders stark betroffen. Wenn diese zugleich vom öffentlichen Nahverkehr unzureichend versorgt bis immer mehr abgeschnitten werden, fällt es zunehmend schwerer für ihre Dorfbevölkerung zu sorgen. In ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen sind neben altersgerechtem Wohnraum auf Versorgungsangebote in Wohnungsnähe angewiesen. Gefragt sind Lösungen, die berücksichtigen, dass Menschen in ihren gewachsenen Lebensräumen alt werden möchten, auch wenn sie nicht mehr mobil sind und die eigenen Kinder weit weg wohnen.
Es muss also in „alternden“ Regionen etwas getan werden, damit die Menschen in Zukunft nicht sich selbst überlassen bleiben, wenn sie nicht ins Heim wollen.
Der demographische Wandel erfordert im ländlichen Raum eine aktive und solidarische Dorfstruktur. Gute Nachbarschaft, ein reges Vereinsleben und eine konstruktive Atmosphäre zwischen Alt und Jung, zwischen Männern und Frauen, Alt- und Neubürger/innen, halten das Dorf lebendig und machen es auch attraktiv für junge Familien. Nahversorgungs- und Unter-stützungsangebote sowie alternsgerechtes Wohnen fördern den Verbleib älterer Menschen in ihrem Wohnort. Damit kann einer Verödung ganzer Landstriche und der Vereinsamung im Alter wirksam entgegen gewirkt werden. Die Verbesserung der Lebensqualität in den Gemeinden mit ihren Dörfern und Ortschaften hängt dabei entscheidend davon ab, in wie weit Bürgerinnen und Bürger in Entwicklungsprozesse eingebunden werden und diese aktiv gestalten können. Und es sind gerade die Älteren, die mit ihrem Engagement, ihren Erfahrungen und Potentialen maßgeblich zum Erfolg und zur Gestaltung beitragen.
Seit September 2008 fahren wir mit einem Beratungsbus „übers Land“ und gehen mit unseren mobilen Beratungs- und Moderationsteams neue Wege, um die Menschen in ihren gewachsenen Lebensräumen mit ihren vielfältigen sozialen Beziehungsstrukturen zu erreichen. Denn so können die besonderen persönlichen Lebensverhältnisse, lokalen Rahmen-bedingungen und Versorgungsstrukturen sehr individuell und ortsbezogen berücksichtigt werden. Bei Hausbesuchen oder öffentlichen Veranstaltungen, z.B. Dorfversammlungen, hören sich unsere ehrenamtlichen Teams im persönlichen Gespräch die Wünsche und Sorgen der Menschen an. Sie informieren über Veränderungsmöglichkeiten in der Wohnung und über Serviceeinrichtungen, damit sie in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können. Gefördert wird der Generationendialog durch Moderation von Erzählcafés oder Veranstaltungen zum Wohnen im Alter. Beim Aufbau und der Koordinierung generationenübergreifender Nachbarschaftshilfe leisten wir Unterstützung.
Aus den Erfahrungen mit sozialraumorientierter mobiler Wohnberatung wurde von der Freien Altenarbeit Göttingen ein Konzept zur Moderation und Begleitung von Dorferneuerungs-Prozessen entwickelt, das mit dem zweijährigen Modellprojekt „Dorf mit Zukunft Güntersen“ 2010 bis 2012 erfolgreich erprobt wurde und nun auch in weiteren Dörfern der Region umgesetzt werden soll.
Für diese Aufgaben wurden Ehrenamtliche in einer Fortbildung mit anschließendem Praxisprojekt darauf vorbereitet, Motivationsarbeit im ländlichen Raum zu leisten und vernetzt mit lokalen Kooperationspartnern Nachbarschaftshilfen und Begegnungsräume aufzubauen.
Die Fortbildung qualifiziert in vielen Fragen des Dorfmanagements, z.B.:
Der Einsatz von Dorfmoderation empfiehlt sich überall da, wo durch die demographische Entwicklung Einbrüche bei der Lebensqualität drohen oder schon eingetreten sind, besonders auch für ältere Menschen. Dorfbewohner/innen müssen dies als Problem erkannt haben und bereit sein, sich für ein lebenswertes Umfeld zu engagieren. Der Moderator oder die Moderatorin sollte Kompetenz im Leiten von Gruppen und Gesprächen, Motivationsfähigkeit und Mut zu einem offenen Prozess mitbringen.
Die Beratungs- und Moderationsteams der Mobilen Wohnberatung Südniedersachsen und das von ihr moderierte Netzwerk Wohnen und Leben in Südniedersachsen stehen auch nach Abschluss der moderierten Phase zur weiteren Begleitung und Unterstützung von Dorferneuerungsprozessen zur Verfügung.
Unser Projekt zeigt, dass die Behauptung, die jüngere und die ältere Generation hätten sich nichts mehr zu sagen, falsch ist: Zwar haben viele Ältere zunächst Hemmungen, Hilfe von Nachbarn anzunehmen, da sie es gewohnt sind, ihre Probleme selbst zu meistern. Im Dialog der Generationen können diese Hemmnisse aber schnell überwunden werden, wenn die Älteren nicht als „Hilfsleistungsempfänger“ gesehen werden, sondern in ihrer Eigeninitiative und Selbstverantwortung gestärkt und damit direkt als handelnde Personen in den Entwicklungsprozess integriert werden.
Wir sehen den demographischen Wandel in der Region nicht mehr als Bedrohung, sondern als Chance. Unsere Dorf- und Quartiersprojekte mit ihrem hohen Anteil aktiver Älterer zeigen, wie sehr sich auch bei den Jüngeren das Altersbild positiv verändert, gerade wenn sie sich gemeinsam mit den Älteren im Dialog und in Aktion für ein lebendiges, lebenswertes und solidarisches Dorf oder Quartier engagieren. Zugleich fördert der Dialog die Fähigkeit und Bereitschaft der Generationen, bei der individuellen Lebensgestaltung und im öffentlichen Leben verantwortungsbewusst zu handeln.
Wenn die Beteiligten erst einmal miteinander reden, dann können eingeengte Sichtweisen durchbrochen, Wahrnehmungen für die jeweils andere Seite geöffnet und der Blick für das verbindende, für die gemeinsame Verantwortung für die Zukunft der ländlichen Lebenswelt geschärft werden.
Mit Hilfe von Erzählcafés werden Begegnungsräume geschaffen, in denen Ältere den lebensgeschichtlichen Dialog mit den Jüngeren finden. Das Erzählcafé – wie es vom Göttinger Zeitzeugenprojekt der Freien Altenarbeit entwickelt und seit vielen Jahren durchgeführt wird – lässt sich am besten als moderiertes, nicht wertendes biographisches Rundgespräch beschreiben. Es ist ein Ort zur lebendigen Darstellung persönlicher Lebensgeschichte in einer öffentlichen und aufgeschlossenen Atmosphäre, von professioneller Seite vorbereitet und moderiert. Es geht immer um das persönlich Erlebte, die eigene Biographie, die in Geschichten beschrieben wird. Keine Großveranstaltung mit Podium und prominenten Zeitzeugen, sondern ein vom Dialog lebendes Gespräch. Veranstaltet von lokalen Initiativen, Kirchengemeinden oder Vereinen bieten Erzählcafés gerade älteren Menschen in ländlichen Regionen eine Möglichkeit, sich aktiv in einen alle Lebensbereiche umfassenden Dorfentwicklungsprozess einzubringen.
Mittlerweile gibt es in der Region achtundzwanzig (28!) regelmäßige Erzählcafés, die zu wichtigen Begegnungsräumen der Generationen geworden sind. Das Netzwerk „Region des Erzählens“, das vom Göttinger Zeitzeugenprojekt, einem Projekt des Trägervereins Freie Altenarbeit Göttingen e.V., koordiniert wird, bringt die lokalen Akteure zum Erfahrungsaustausch zusammen und initiiert neue „Orte des Erzählens“.
21. November 2013
„Wir in der Region – Generationen gestalten Zukunft" mit dem Generationendialog-Preis 2013 ausgezeichnet
Das in Berlin ansässige und vom Bundesfamilienministerium geförderte Projektebüro "Dialog der Generationen" hat unsere Initiative mit dem 1. Preis des Generationendialog-Preises 2013 ausgezeichnet, verbunden mit 3.000,-- Euro Preisgeld der Apfelbaumstiftung.
Die Jury würdigt das Projekt als ausgesprochen wertvollen Beitrag zur Förderung des Generationendialogs in Deutschland. Die Jury erkennt in ihrer Begründung besonders den Modellcharakter für ähnliche Regionen im In- und Ausland an. Lobenswert hervorgehoben wird zudem die Einbettung in sozialraumorientierte Dorferneuerungsprozesse, welche die Integration aller Generationen in die dörfliche Gemeinschaft fördert.
Elisabeth Mücke (Mitte), stellv. Vertretende Vorsitzende der FAG, nimmt im Rahmen eines feierlichen Festaktes in Berlin den Preis entgegen. Rechts: Volker Amrhein, Leiter des Projektebüros.